»In dieser Folge spreche ich mit dem Fußball-Weltmeister und TV-Experten Per Mertesacker. Per wurde 2014 Weltmeister mit der deutschen Nationalmannschaft und leitet aktuell die Jugend-Akademie von Arsenal London. In unserem Gespräch gibt er sein Zwischenfazit zur Fußball-Europameisterschaft und erzählt aus seinen Erfahrungen als Spieler und Kapitän der Nationalmannschaft in großen Turnieren. Für mich waren die Einblicke in seine Arbeit beim FC Arsenal besonders spannend – und seine Haltung zu dem Thema zu erfahren, was wirklich wichtig ist in der Entwicklung junger Fußballer und Trainer. Ich wünsche euch viel Inspiration beim Zuhören.«
Silke: Wie sieht denn dein erstes Zwischenfazit zur EM aus?
Per: Ich bin durchweg positiv im Moment, was die deutsche Fußball-Nationalmannschaft anbetrifft. Da wir ein paar Turniere hatten, wo es nicht so gut lief und wo wir auch als Experten-Team hautnah dabei waren. Und jetzt ist es zum ersten Mal so, dass man das Gefühl hat, hier kann was entstehen, die Mannschaft kann sich entwickeln. Wir haben Top-Spieler, die zu den besten in Europa gehören, und einen Trainer, der klare Ansagen macht und auch dazu steht. Also, das Fazit nach anderthalb Wochen mit der Intensität, die man auch selbst an den Tag legt. Die Stimmung im Land. Und eine Mannschaft, die konkurrenzfähig ist. Es macht riesig Spaß.
Kommst du denn bei großen Turnieren an deine Erinnerungen an die Weltmeisterschaft 2014 heran, kommst du da wieder in den Vibe hinein?
Ja, total. Das wird auch immer wieder rausgeholt. Ich war als Spieler zehn Jahre dabei, und dann gibt es super viele Momente, an die man sich natürlich erinnert. Besonders natürlich Turniere im eigenen Land, die Emotionalität der Gruppenphase, wenn man die Gruppenphase schafft, wenn das endlich feststeht, die K.O.-Spiele. Wir hatten das Glück, fünf Gruppenphasen, fünfmal Halbfinale mit vielen K.O.-Spielen, plus Finalniederlage, Halbfinalniederlagen, Siege im Spiel um Platz drei, Sieg im Finale, da war alles dabei. Kein Witz, da bin ich sehr, sehr glücklich darüber, dass man so einen Fundus hat, dass man das mit einer Mannschaft teilen konnte über eine so lange Zeit.
Ich sag dir eins, zum Glück haben wir den Titel 2014 gewonnen. Ansonsten wären das wirklich zehn Jahre, wo man wirklich an der Weltspitze mit dabei ist, und nie was gewinnt. Das ist kein schönes Gefühl, deswegen ist es natürlich toll, dass man so eine schöne Zeit hatte und sehr viel erzählen kann. Aus Spielersicht, aber auch aus Deutschlandsicht, wie sich das hinter den Kulissen angefühlt hat. Deswegen versucht man so ein bisschen preiszugeben. Man möchte natürlich nicht nur von der Vergangenheit reden, aber ich glaube, es ist schon wichtig, dass man so einen schönen Zeitstrahl hat, mit super vielen Erinnerungen, Motiven, Motivationen und Gefühlen, die man so erlebt hat.
Das kann man teilweise wieder rausholen. Und gefühlt ist auch so: Die Leute erinnern sich sehr, sehr gerne an gewisse Zeiten, an gewisse Titel, an gewisse Interviews. Da ist man tagtäglich mit beschäftigt. Aber was ich auch feststelle: Viele Leute gucken, viele Leute sind wieder interessiert. Wir haben sehr viele Millionen Zuschauer, wofür wir sehr, sehr dankbar sind. Und wenn man durch die Straßen läuft, sind die Leute da und erkennen sofort, wer was ist und was los ist. Und es ist zu 99 Prozent positiv. Immer positiv. Und das ist so das Schönste daran.
Und wenn du so zurückdenkst, was ist vielleicht deine eindrücklichste Erinnerung?
Ich gehe schon sehr oft zu 2006 zurück, als ich so jung war. Ich war 21 Jahre, WM in Deutschland, erstes großes Turnier. Man hat sich schon so ein bisschen Gedanken gemacht im Vorfeld. […]
Man baut natürlich ein Schutzschild auf, besonders als junger Spieler. Das wird viel geschrieben über einen. Man kann das auch nicht immer so weglächeln und sagen, ja, ist mir alles egal, was die von mir denken. Klar ist es einem wichtig, dass man positiv gesehen wird, besonders in dem Alter, da kann man das noch nicht so gut verarbeiten. Als dann feststand, wir haben das geschafft, wir sind jetzt da durchmarschiert [durch die Gruppenphase], dann war ich schon so ein bisschen, da war Genugtuung, aber auch emotionaler Ausbruch gegenüber Menschen, die an einem gezweifelt haben. Das hat man schon benutzt für die Motivation. […]
Da erinnere ich mich sehr oft dran. Ich habe da was von mir gesehen, was ich vorher nicht gesehen hatte. Ich habe so eine Aggressivität entwickelt gegen Leute, und habe das auch dann mal rausgelassen nach dem Spiel. Und dann war’s auch wieder gut.
Welche Trainer haben dich geprägt auf deinem Weg?
[…] Für mich war es immer wichtig, dass ich auch dem Trainer das Gefühl gebe, ich bin voll dabei, ich gebe alles, ich bin verfügbar. Ich muss mich auch neben dem Platz total einbringen. Und das Vertrauen, das ich da von Trainern gespürt habe, mit meiner Art und wie ich damit umgehe, das sehe ich jetzt auch. Dass man nach der Arsenal-Zeit gesagt hat, ja, wir können uns vorstellen, dass du im Verein bleibst. Ich war da sieben Jahre als Spieler. Und dann kommt der Verein auf einen zu und sagt, ja, wir können uns vorstellen, dass du hier bleibst, dass du die Jugend übernimmst. Und das zeigt wieder mal, wie wichtig das tagtägliche Umgangsverhalten miteinander ist. Dass ich das Gefühl habe, diesen Typen vertraue ich. Weil ich das über sieben Jahre gesehen habe.
Sich vernünftig zu verhalten, natürlich ehrgeizig zu sein, aber sich im ganzen Gefüge sozusagen einzugliedern, das ist so wichtig. Jeder Tag, jede Verhaltensweise. Man befindet sich wie in einem Interview, hatte ich das Gefühl. Im Nachhinein hat man so reflektiert: Sieben Jahre waren so wichtig, um das nächste Kapitel einzuleiten.
Was sind Werte, die du weitergibst?
Wie besprochen: Respekt, Disziplin, aber auch Bescheidenheit. Das ist ein Fundament für mich. Das ist ein absolutes Fundament, mit dem ich arbeiten kann.
Wie warst du auf dem Feld oder auch in der Kabine? Wie hast du deine Führungsrolle in der Mannschaft übernommen?
Total spannendes Thema. Diese Werte, über die wir gesprochen haben, die bringt man natürlich ein, und dann geht es darum: Wie kann man das tagtäglich umsetzen? Mir war Pünktlichkeit, Verlässlichkeit super wichtig. Dass Leute das Gefühl haben, ich bin da, komme, was wolle. Ob das zum Training ist, zum Spiel ist, zu irgendwelchen Veranstaltungen. Pünktlichkeit ist mir sehr, sehr wichtig. Um den Leuten das Gefühl zu geben, ich meine das hier ernst, ich will immer da sein. Verlässlichkeit ist eines der wichtigsten Prinzipien und wird sehr gerne unterschätzt. Aber verlässlich zu sein, auch dem anderen das Gefühl zu geben, dass ich hier heute Morgen pünktlich komme, das ist für mich absolut wichtig. Damit gehe ich voran.
Und diese Verlässlichkeit, auch dieser Respekt vor dem, wo man jetzt reingeht, sei es bei Hannover in der Jugend, bei 96, bei Werder Bremen, sich erstmal den Respekt zu erarbeiten. Nicht das Gefühl haben: Ich bin jetzt hier, ich komme jetzt hierher, ihr müsst jetzt erstmal was für mich machen. Sondern: Was kann ich einbringen? Das trägt mich jeden Tag. Und dann ist es natürlich Kommunikation. Kommunikation, kommunikativ zu sein mit Leuten, auch das Gefühl zu geben, dass man das wirklich ernst meint.
Zum Thema Leistungssport. Du hast ja auch in deinem Buch die Schattenseiten angesprochen, das Thema Druck. Was hast du da gelernt?
Ich war mit 15, 16 nicht ganz auf der Höhe, also nicht in diesem Licht, wo man sagt, ja, der wird auf jeden Fall mal Profi. Mein Vater hat dann auch mal gesagt, du Junge, das wird wahrscheinlich nichts. Das hat er schon so angedeutet. Ich glaube, das war das Beste, was mir passieren konnte, weil ich einfach das Gefühl entwickelt habe, ja okay, dann … Ich hatte das eh nie, mir war das eh zu weit weg. Das war nie so ein Traum, den ich irgendwie jeden Tag verfolgt habe.
Als ich dann kurz davor war, habe ich alles dafür gegeben. Aber in dem Moment war es so, ja okay, dann gehe ich halt normal zur Schule. Meine Mutter hat mir noch sehr geholfen: Du gehst zur Schule, Fußball ist dein Hobby, mach dir keine Sorgen. Ich hatte Wachstumsprobleme, ich war ein Jahr raus im Endeffekt, mit 15, 16. Heutzutage wäre das mit den ganzen Akademien und Strukturen wahrscheinlich schwierig gewesen. Damals ist man noch so mitgeschwommen.
Und auf einmal, mit 17, war ich dann wieder da, war fit, motiviert. Hatte diesen ersten Schock überwunden, es vielleicht nicht zu schaffen. Das hat mich entspannt. Und diese Entspanntheit ist super wichtig. Weil für viele Jungs in dem Alter gilt: du musst, du musst, du musst. Eltern wollen das, Großeltern, alle hinterher. »Profi, das ist es.« Ich weiß nicht, ob das für einen jungen Menschen das Beste ist, um sich zu entwickeln. Aber diese Enttäuschung, auch die Verletzungen, und damit umzugehen, das hat mir sehr, sehr viel gegeben. Diesen Leistungssport mit Ehrgeiz anzugehen, aber auch mit der gewissen Gelassenheit, die man braucht.
Wenn Du wissen willst, worauf Per als Leiter der Arsenal Academy bei der Entwicklung junger Fußballer Wert legt, dann höre Dir das gesamte Gespräch hier oder hier als Podcast an.
Unser Anliegen im 41Campus ist es, die persönliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in Sportteams wertebewusst zu begleiten. Deshalb wollen wir vor allem Trainer und Trainerinnen in ihrer Vorbild- und Mentorenfunktion stärken. In unserem Podcast spreche ich mit erfolgreichen Menschen im Sport über werteorientiertes Leadership.
Per Mertesacker, 1984 in Hannover geboren, spielte u.a. für Hannover 96 und Werder Bremen sowie viele Jahre für den FC Arsenal. Zwischen 2004 und 2014 bestritt er 104 Spiele für die deutsche Nationalmannschaft, mit der er 2014 in Brasilien Weltmeister wurde. Seit 2018 leitet er die Arsenal Academy, die Fußballakademie des FC Arsenal.