»Träumen und trotzdem Spaß haben«

Marie Gülich ist mit dem Damenteam des DBB bei Olympia dabei. Wie sie es dorthin geschafft hat, erzählt sie im Gespräch mit Silke Mayer und Luis Hissmann.

»In dieser Folge sprechen Luis und ich mit der Basketball-Nationalspielerin Marie Gülich.

Marie schrieb Basketball-Geschichte in dieser Saison. Mit ihrem Verein aus Valencia gewann sie als erster spanischer Frauenbasketballverein überhaupt den Eurocup Women.

Mit der deutschen Nationalmannschaft hat sie sich das erste Mal in der Geschichte des deutschen Basketball für die Olympischen Spiele qualifiziert. 

In dem Gespräch gibt sie aktuelle Einblicke in die Vorbereitung und Zielsetzung des deutschen Teams. Außerdem verrät sie ihre Strategien, um auch in Drucksituationen mit dem bestmöglichen Mindset ins Spiel zu gehen. Mich hat besonders beeindruckt, wie locker und zugleich zielstrebig Marie ihren Weg geht und dabei für junge Menschen eine Inspiration sein möchte. Ich wünsche euch viel Spaß beim Zuhören.«

»Ehrlich miteinander sein können, ohne es persönlich zu nehmen.«

Luis Hissmann: Du hast gesagt, dass es jetzt gilt, die Neuen an eure Teamkultur zu gewöhnen. Was ist denn eure Teamkultur?

Marie Gülich: Ich würde sagen, […] sowas im Sinne von Toughness, im Sinne von Durchhaltevermögen, dass wir halt einfach hart arbeiten, dass wir uns pushen, besser werden. Aber auch Accountability ist etwas in unserem Team, was wir einfach brauchen, um Wissen weiterzugeben. Und uns zu kontrollieren und zu sagen: Ey, das Training gerade ist nicht so, wie es sein muss, damit wir auf dem höchsten Level ankommen, dann bei Olympia. Und ich glaube, darum geht es ganz viel bei uns: Dass wir es schaffen, auf einem höheren Level zu trainieren, die Kommunikation zu halten und auch diese Toughness und diesen Grip beizubehalten.

Silke Mayer: Wie schafft ihr das? Indem ihr euch gegenseitig immer wieder Feedback gebt und sagt: Das war nicht das toughste Training, so können wir es uns nicht vorstellen? Oder habt ihr da Rituale, wo das so geteilt wird? Wie kriegt ihr das wirklich umgesetzt?

[…] In der Vorbereitung auf Olympia haben wir uns jede Woche einmal getroffen via Zoom. Wir haben viel geredet, Film geguckt, aber auch einfach viel darüber geredet, was unsere Ziele sein sollen. Also versucht, als Team zusammen zu gucken: Was sind unsere Ziele, was ist realistisch, was möchten wir verkörpern?

Letztes Jahr zum Beispiel für die EM war es unser Ziel zu zeigen, dass wir dazu gehören. Nicht einfach nur dabei sein, sondern zu zeigen, dass wir dahin gehören. Das war unser Ziel.

Ich glaube, es hilft uns einfach, wenn wir vor den Trainingseinheiten, vor diesen Events immer wieder Kontakt haben, über Dinge reden und dann auch im Training einfach ehrlich miteinander sein können, ohne es persönlich zu nehmen. Das ist immer ganz wichtig, weil ich glaube, jeder ist sehr emotional, man hat viel Druck, man hat Stress, vor allem wenn man es ins Team schaffen möchte. Dann in diesen Situationen aber auch damit umzugehen, dass man Feedback und Kritik bekommt, und diese dann anzunehmen für sich und zu verarbeiten. Das sind natürlich alles Prozesse, die man einfach erlernen muss. Darüber muss man sprechen und das machen wir viel und auch gut, finde ich.

»In diesem Raum können wir uns gut ausprobieren.«

Behind the Scenes

Silke: Bei uns im 41Campus geht es auch viel um die Entwicklung von TrainerInnen, um genau solche Prozesse in Teams von der Führungsposition her mitzugestalten. Wie macht das dann die Bundestrainerin Lisa Thomaides, wie setzt sie das?

Erstmal haben wir immer so einen Energizer, wo wir einfach nur irgendwelche Spiele spielen, die einfach lustig sind, wo man Energie bekommt, wo man connectet, lacht. Die machen mir immer eigentlich voll viel Spaß. Das sind halt so Kleinigkeiten, keine Ahnung, ein Schnickschnackschnuck-Wettbewerb.

So Sachen, wo man auch mal competitive wird, aber einfach Spaß haben kann. Und ich finde Spaß ist halt so ein Element, das im Profisport ganz oft hintangestellt wird. Aber Spaß ist ja das, warum man überhaupt angefangen hat mit dem Sport. Spaß ist ein Element, das dann vielleicht irgendwie verloren geht. Und das wird ein bisschen am Leben gehalten mit dieser Competition.

Was ich auch cool finde, ist, dass sie uns einen Raum gibt, auch Fehler zu machen. Das ist keine Kultur, wo es heißt: Das muss alles so und so laufen, es muss alles richtig sein. Sondern man hat seinen Freiraum innerhalb der Limits, die man gesetzt hat, wo man kreativ sein kann, wo man Sachen ausprobieren kann. Natürlich haben die Spieler irgendwelche Limits, aber in diesen Limits können sie halt frei sein. Und ich glaube, das ermöglicht so ein Growth-Mindset für uns Spieler.

Silke: Und das schafft sie, indem sie diese Grenzen oder dieses, wie du sagst, Limit kommuniziert? 

Genau, sie sagt schon ziemlich klar: Du bist kein Ball Handler, du machst nur diese Situation und das sind die Ballhandler. Und ich will, dass der Ball nicht so in den Post gespielt wird, sondern immer, keine Ahnung, im Low Post Corner, so dass wir Rip and Go spielen können mit einem Face-Up. Sie gibt einem schon ganz klare Ansagen, was sie sich vorstellt und wo sie uns sieht. Aber in diesem Raum können wir uns dann relativ gut ausprobieren. Und dadurch fühle ich mich halt relativ frei.

»Alle Menschen in diesem Dorf sind einfach richtig fit.«

Ich würde es so gerne schaffen, mich weiter für Paris zu qualifizieren, um in dem echten Olympischen Dorf zu sein [Redaktion: Die Vorrunde des Basketballturniers findet in Lille statt]. Weil viele Athleten erzählen, wie krass das einfach ist. Alle Menschen in diesem Dorf sind einfach richtig fit.

»Was ich verkörpern möchte auf dem Basketballfeld.«

Silke: Wenn ich dich so sprechen höre, ist es ein persönliches Anliegen von dir, Mädchen zu inspirieren und das Thema Frauen-Gleichberechtigung umzusetzen. Was glaubst du, würde da helfen? Oder wie siehst du auch persönlich deine Aufgabe darin?

Ich glaube, dass es einfach helfen würde, unseren Erfolg einfach nochmal auf eine andere Ebene zu pushen. Uns als Spielerinnen und unsere Stories ein bisschen besser zu erzählen. Noch nicht mal, sie besser zu erzählen, sondern sie überhaupt zu erzählen.

Denn es gibt echt coole Stories. Man muss ich mal Leo Fiebig in der WNBA bei New York ansehen. Das ist schon mal eine richtig coole Story. […] Es gibt so viele Stories, die man erzählen kann von uns, die unseren Erfolg widerspiegeln. Das Durchhaltevermögen. Den Grit. Die Toughness. […] Und ich glaube, es ist wichtig, dass wir offener darüber reden, what it takes, sozusagen. Um auch ein bisschen den Weg aufzeigen zu können. Als ich angefangen habe, Basketball zu spielen, hat mir keiner erzählt, irgendwann wirst du Profi sein und kannst damit dein Geld verdienen. […] Umso mehr wir darüber reden, umso realistischer ist natürlich das Ziel für die jungen Mädchen.

Silke: Da würde ich echt gerne einhaken, weil ich das super spannend finde, gerade dieser Umgang mit Druck, dieser eigene Self-Talk, wie du gesagt hast, also der Dialog mit sich selbst. Was für konkrete Themen und vielleicht auch konkrete Tools haben dich da weitergebracht im Bereich Mental Training?

Mit Rainer Meisterjahn von Cortex Performance arbeite ich seit vier Jahren zusammen. […] Woran wir viel gearbeitet haben, sind meine Werte, und daran, sie in Fokuspunkte umzuarbeiten. Wir haben erstmal einen Persönlichkeitstest gemacht, geguckt: Was ist eigentlich meine Persönlichkeit und wie hilft sie mir beim Basketball? Und wo limitiert sie mich vielleicht auch ein bisschen? 

Also ein Beispiel: Ich bin ein relativ sensibler Mensch und will oft, dass es Menschen um mich herum gut geht. Aber ganz oft ist das natürlich auch außerhalb meiner Kontrolle. Aber mich beeinflusst das trotzdem. Und dann zu lernen, okay, das macht mich wirklich zu einem guten Team Mate, weil ich das Auge dafür habe, wenn Leute strugglen, und mich darum kümmere. Gleichzeitig nimmt mir das aber auch viel Energie, um mich um mich selbst zu kümmern. Das waren so Aspekte, mich selbst erstmal kennenzulernen, meine Stärken, meine Schwächen – und wie die mir helfen beim Basketball.

Und dann haben wir über meine Werte gesprochen – was mir wichtig ist, was ich verkörpern möchte auf dem Basketballfeld. Das sind Dinge, die ich immer kontrollieren kann. Das waren dann so Dinge wie Connection mit Teammates, also sei es High-Fives, irgendeine Kommunikation. Wenn ich ausgewechselt werde, mit meinen Teammates zu kommunizieren, diese Connection zu haben. Dann Ownership: Man macht einen Fehler und sagt, okay, war mein Fehler, man akzeptiert ihn, lässt ihn aber auch sofort wieder los, damit man sich auf den nächsten Moment konzentrieren kann. Das sind Dinge, an denen wir gearbeitet haben und die man auch üben musste. Die schreib ich mir mittlerweile immer auf mein Handgelenk fürs Spiel.

Das sind so meine Focus-Views, die mir helfen, falls ich dann doch mal von meinen Emotionen geleitet werde und die Ruhe verliere, dann hilft mir das so ein bisschen, einfach mal durchzuatmen und zu sagen: Okay, fokussier dich jetzt auf deine Teammates oder akzeptier einfach, was los war, akzeptier es, lass los.

»Aber man kann ja träumen und trotzdem Spaß haben.«

Silke, Marie und Luis

Silke: Was mich bei dir so beeindruckt hat, war, dass es eben nicht von Anfang an so ein klares Ziel war: Ich werde Profi und mach das so. […] Und trotzdem kann man in dem Setting landen und erfolgreich sein.

Ja, ich sehe das genauso. Ich finde es ganz lustig, weil viele Fragen mich fragen: War das immer dein Traum? Und wer waren deine Vorbilder? Wer hat dich gepusht? Und ich habe  immer gesagt: Ich weiß gar nicht so genau. Ich hatte einfach Spaß. Ich glaube, das würde ich den jungen Menschen mitgeben, die den Sport für sich gefunden haben, der ihnen Spaß macht.

Einfach weiter Spaß daran zu haben, sich kreativ sein zu lassen, die Connections mit den Menschen, mit Freunden, mit Teammates. Das hat mir immer super geholfen, einfach mit Leuten zusammen was erreichen, zusammen zu wachsen und einfach Spaß zusammen zu haben. Und dieser Spaßfaktor geht halt oft verloren, aber ich hoffe, dass man den zumindest als junger Mensch, als Kind beibehalten kann und einfach das macht, was einem Spaß macht und dann guckt, wo der Weg hinführt.

Natürlich kann man auch Träume haben und jetzt bin ich auch an einem Punkt, wo ich mir letztes Jahr gedacht habe, okay Olympia, komm wir schaffen das und das war auch ein Traum für mich. Aber man kann ja träumen und trotzdem Spaß haben.

Das Gespräch in voller Länge

Wenn Du wissen willst, wie Marie ihre Zeit am College, in der WNBA und in Spanien erlebt hat, dann höre Dir das gesamte Gespräch hier oder hier als Podcast an.

Marie Gülich, Jahrgang 1994, spielte unter Anderem für die SG BBZ Opladen, bevor sie von 2014 bis 2018 für die Oregon State University auflief und 2017/18 als beste Verteidigerin der Pac 12-Division ausgezeichnet wurde. 2018 wurde sie in die WNBA gedraftet, in der sie für verschiedene Teams spielte. Außerdem war sie in Italien, Polen und vor allem in Spanien aktiv. Mit Valencia gewann sie 2021 den Eurocup. Seit Juli 2017 ist sie Teil der A-Nationalmannschaft, mit der sie sich für Olympia qualifizieren konnte.