FORTYONE: Lange nichts mehr gehört, Dirk! In den letzten Monaten bist du »low profile« unterwegs gewesen. Wie ist der Stand der Dinge?
Dirk Nowitzki: Das Jahr Corona-Pandemie war für alle eine merkwürdige Zeit, eine schwere Zeit. Ich habe versucht, mich voll auf die Familie zu konzentrieren, beim Home Schooling mitzuhelfen und den Kids einige Sachen beizubringen, und ein paar Projekte mit unserer Stiftung zu machen. Ich habe schon versucht, mich ein bisschen aus dem öffentlichen Leben rauszuziehen und in diesem komischen und schweren Jahr ganz Familienmensch zu sein. Und das ist uns, glaube ich, trotz der schweren Zeiten gelungen.
Wie sieht das Home Schooling bei euch aus?
Es ist natürlich gut, dass unsere Kinder noch so jung sind – da ist das alles noch relativ überschaubar. Ich versuche, mit Spaß an die Sache heranzugehen. Dass die Kinder eigentlich gar nicht merken, dass sie eigentlich lernen. Mathe, Schreiben und Lesen. Und wir Eltern lernen fast genauso viel wie die Kids. Zum Beispiel Schach. Das ist ein tolles Spiel für die Kids, auch für den Kopf: systematisch überlegen und seine Moves im Voraus denken. Ich habe in der Pandemie sehr viel Schach gespielt. Ich war kein guter Schachspieler, aber ich wusste vorher zumindest, wie die Figuren sich bewegen dürfen. Jetzt spiele ich mehr und bin dabei wirklich besser geworden. Das macht mir Spaß. Wenn ich Zeit habe, spiele ich ein bisschen online oder versuche, mein Endgame zu üben – das ist ja immer das Schwierigste: den Gegner wirklich Matt zu setzen. Das macht mir Spaß.
Du hast neulich einmal erzählt, dass du wieder angefangen hast, regelmäßig Notizbuch zu schreiben – nach all den Jahren der Hektik. Bist du in diesen besonderen Zeiten in einen Reflexionsmodus gekommen?
Ich habe während meiner Karriere ein paar Mal probiert, Tagebuch zu führen. Holger hat mir das immer nahegelegt. Er schreibt seit 50, 60 Jahren immer in sein Notizbuch. Irgendwie schließt sich da ein Kreis. Wenn wir früher auf Reisen waren, und zum Beispiel am Flughafen warten mussten, hat Hotsch immer sein kleines Notizbuch rausgeholt und sich stundenlang Notizen gemacht. Ich habe mich damals immer gefragt: Was macht er da eigentlich, der Hotsch? Was schreibt er da die ganze Zeit? Irgendwann hat er mir nahegelegt, dass ich das auch mal probieren soll. Früher in meiner Karriere habe ich dann auch immer mal wieder so wochen- oder monateweise mitgeschrieben. Es war ja auch ganz witzig, dass man dann zurückgehen und schauen konnte: Was habe ich damals so aufgeschrieben? Was habe ich damals gedacht. Aber nach paar Wochen oder paar Monaten habe ich das Interesse verloren oder die Zeit nicht gehabt, um das wirklich durchzuziehen. Im Nachhinein ist das echt schade, weil ich glaube, dass das Schreiben wirklich ein tolles Handwerkszeug ist. Man reflektiert, was man gemacht und erlebt hat. Man kann zurückgehen und nachlesen: »Hey, diese Erfahrung habe ich schon mal gemacht. In einem Spiel, im Leben. Wie bin ich denn damals durch diese Zeit durchgekommen? Wie habe ich dieses Problem damals gelöst?« Ich würde das jedem Sportler raten, eigentlich auch allen anderen: Schreibe es auf, lerne was draus. Das hilft beim Reflektieren. Vor ein paar Wochen habe ich dem Hotsch ein Bild von meinem Notizbuch geschickt: »Guck dir das mal an!« Die Kids spielten gerade im Garten, und ich saß da mit meinem Notizbuch und habe geschrieben. Der Kreis hat sich geschlossen: Früher, vor 20 Jahren, habe ich mich gewundert: »Was macht Holger da?« Und jetzt sitze ich hier mit meinem Notizbuch und schreibe, während die Kids spielen. Ich glaube, da war Holger echt stolz. Das war, glaube ich, ein guter Moment für ihn.
Du bist Schirmherr für die Europameisterschaft in Deutschland im nächsten Jahr – und hast bei der Auslosung ein gutes Händchen gehabt. Das werden gute Spiele. Freust du dich auf das Turnier?
Eine Heim-EM ist natürlich eine tolle Sache. 2015 hatten wir die Vorrunde in Berlin – das war ein großartiges Erlebnis, vor heimischem Publikum zu spielen. Ich habe mich sehr gefreut, dass Deutschland die EM-Vorrunde – und auch das Endturnier – austragen wird. Mit vielen beim DBB bin ich immer noch eng befreundet, ob’s der Wolle (Wolfgang Brenscheidt) ist oder Ingo Weiss. Wir sind immer in Kontakt. Der DBB hat mir in meiner internationalen Karriere sehr viel ermöglicht. Die haben mich immer unterstützt, haben mir nie Steine in den Weg gelegt, haben immer alles mitgemacht. Mein Vater durfte damals zu Spielen teilweise im Mannschaftsbus fahren, er war so eine Art Maskottchen für uns. Es war eine sehr schöne Zeit mit dem DBB, und als sie mich dann gefragt haben, ob ich am Start bin, habe ich gesagt: »Na klar.«Ich bin zwar leider nicht die ganze Zeit vor Ort, aber ich denke, dass ich trotzdem helfen kann. Beim Turnier will ich natürlich dabei sein. Es liegt mir am Herzen, dass es eine tolle Europameisterschaft wird. Dass wir eine gute Gastgebernation sind und viele Fans aus ganz Europa begrüßen können. Hoffentlich ist bis dahin alles ein bisschen normaler.
41Campus ist ein innovatives Bildungsportal für TeamMentoring. Es wurde von der Dirk Nowitzki-Stiftung ins Leben gerufen, um Kinder und Jugendliche im Sport durch ein werteorientiertes Teamerleben in ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen.
Weitere Informationen findest Du auf der Webseite des 41Campus und auf FORTYONE.
Wenn du dir das deutsche Team so anguckst, auf wen freust du dich am meisten?
Ich glaube, dass wir gerade eine tolle Generation haben. Sie wird ja manchmal mit unserer ’78er-Generation verglichen. Ich glaube sogar, dass sie vom Talent her mit uns mithalten können oder sogar besser sind als wir damals. So einen spektakulären Aufbauspieler wie Dennis Schröder hatten wir wahrscheinlich noch nie in Deutschland. Aber auch auf den großen Positionen sind wir großartig besetzt: mit Maxi Kleber und Daniel Theis, Johannes Voigtmann und all den anderen. So tief wie wir sind nicht viele andere Mannschaften besetzt. Und ich denke, dass bei der Heim-EM alle spielen wollen, wenn sie gesund sind. Bei toller Atmosphäre vor ausverkauftem Publikum in Köln eine super Vorrunde, und dann natürlich auch die Endrunde in Berlin. Ich habe uns leider eine schwere Gruppe ausgelost, aber ich denke, dass mit dem Heim-Publikum im Rücken alles möglich ist.
Das sind Teams, die man sich angucken möchte: Slowenien mit Luka Dončic. Die Franzosen, die Litauer.
Ja, die Vorrunde ist spektakulär. Dass Luka Dončić mit Slowenien kommt, ist fantastisch. Und gegen Frankreich haben wir gefühlt in jeder Vorrunde gespielt. Ich habe zwei tolle Erinnerungen an die Kölner Arena: Wir haben dort einmal gegen die US- Mannschaft gespielt, bevor sie zu den Olympischen Spielen nach Athen gefahren sind. Knappes Spiel, und Allen Iverson macht das Ding in der letzten Sekunde von der Mittellinie rein. Die Atmosphäre in der Halle werde ich nie vergessen, den Rest meines Lebens nicht. Das war ein ganz, ganz tolles Ereignis. Und vor der letzten EM haben wir in Köln auch gegen Frankreich gespielt, auch vor komplett ausverkaufter Hütte. Das ist eine tolle Basketballstadt, eine tolle Basketballarena. Ich freue mich sehr auf diese starke Vorrunde. Und ich hoffe, dass sich die Deutschen da durchsetzen und dann nach Berlin fahren.
Du hast gerade gesagt, dass du dem DBB etwas zurückgeben willst. Das ist ein gutes Stichwort, um über die Zukunft zu sprechen. Mir kommt es so vor, als wäre das ein zentraler Gedanke deiner momentanen Arbeit: etwas zurückgeben von dem, was du selbst erfahren hast. Bei der EM, bei der Arbeit deiner Stiftungen. Ist der Eindruck richtig?
Ja, das ist so. Meine Stiftung macht ja das GameChanger-Programm, wir kümmern uns um die Ausbildung für junge Team-Mentoren. Der Gedanke des Mentoring-Programms kam natürlich daher, dass ich am eigenen Leib erfahren durfte, wie wichtig ein Mentor sein kann. Der Holger war mein Rückhalt. Er war immer da für mich da. Mit Ratschlägen. Oder um einfach zuzuhören. Er hatte ein offenes Ohr. Als Mentor ist er immer superwichtig gewesen. Wenn ich heute mit AthletInnen spreche, sage ich immer: »Sucht euch einen Mentor, der euch helfen kann, wenn ihr mal stecken bleibt. Der weiß, wovon er spricht. Der euch aus einer schwierigen Lage helfen kann.« Das ist immer einer der ersten Hinweise, die ich gebe, wenn ich mit jungen AthletInnen rede. Alles allein zu machen, ist sehr schwer.
Und aus deiner eigenen Erfahrung ist die Idee des Team-Mentorings entstanden?
Im Grunde baut unsere Arbeit darauf auf, ja. Der 41Campus versucht genau das. Wir wollen jungen Coaches werteorientierte Leadership im Sport vermitteln. Persönlichkeitsbildung. Dass sie ihren Spielerinnen und Spielern Werte vermitteln können. Nicht nur im Sport, sondern auch im Leben. Deshalb haben wir den 41Campus ins Leben gerufen. Das ist bis jetzt großartig angelaufen, es gibt großen Bedarf. Wir nennen es das GameChanger-Programm – ein wirklich toller Ausbildungsgang, in dem die jungen Coaches viel lernen. Das erste Jahr lief großartig, aber dann kam Corona dazwischen. Wir mussten viel digital machen, viele Talks und Diskussionsrunden, der ständige Erfahrungsaustausch. Wir haben dabei viel dazugelernt. Im kommenden September werden wir eine neue Ausbildungsrunde starten. Mit hoffentlich vielen tollen, jungen, ambitionierten Coaches, die viel lernen wollen. Wer will kann sich jetzt bewerben.
Du kannst am GameChanger-Ausbildungsprogramm teilnehmen, wenn Du
– zwischen 18 und 27 Jahren alt bist.
– TrainerIn in einer Teamsportart für Kinder und Jugendliche bist.
– an persönlicher Weiterbildung interessiert bist.
– ein langersehntes Ziel für Dich und Dein Team erreichen willst.
– die Kinder und Jugendlichen in Deinem Team ganzheitlich in ihrer Entwicklung unterstützen möchtest.
Weitere Informationen findest du hier.
Bei der letzten Runde kam die Pandemie dazwischen. Du hast das ja recht intensiv begleitet. Läuft das so, wie du dir das vorstellst? Ist das für dich auch gewinnbringend, die jungen Leute zu treffen, wenn in der letzten Runde auch nur virtuell?
Bei der ersten Abschlussrunde in Düsseldorf war ich dabei. Und es war echt toll, die GameChanger kennenzulernen. Bei der zweiten Runde ging’s jetzt leider nicht – wir mussten viel in den digitalen Raum verlegen. Aber es war schön, zumindest virtuell dabei zu sein. Die Vorträge sind auch für mich superinteressant. Das ist ein sehr, sehr hohes Niveau, wir haben sehr gute ReferentInnen. Ich bin mehr als zufrieden. Wir würden uns noch mehr Coaches und junge, ambitionierte TrainerInnen wünschen, die dabei sein wollen. Und klar, die Pandemie ist eine Herausforderung. Von Runde zu Runde lernen auch wir dazu – was toll und hilfreich für die Kids ist, was sie am meisten interessiert. Als 41Campus und als Stiftung wollen wir immer weiterwachsen und immer weiter lernen. Und wenn es im September weitergeht, will ich auf jeden Fall bei einem Modul dabei sein und helfen, einen Vortrag halten und Fragen beantworten. Ich möchte die Erfahrung, die ich in all den Jahren der Arbeit mit Holger und mit den Coaches gemacht habe, weitergeben.
Die Arbeit mit Holger Geschwindner hat dir geholfen, der Spieler zu werden, der du warst. Ich stelle mir vor, dass man als junger Trainer echt sehr, sehr viel mitnehmen kann. Wie würdest du das rückblickend einordnen?
Holger hat nie gesagt: »Du musst das so oder so machen«. Er hat mir immer verschiedene Lösungsmöglichkeiten für sämtliche Probleme aufgezeigt. Im Endeffekt musst du als Sportler deinen eigenen Weg finden, wie du aus einer Drucksituation rauskommst. Das, was für dich funktioniert. Wir haben uns damals kennengelernt, als ich 15, 16 war. Schulprobleme. Probleme mit der Freundin. Überhaupt die Pubertät. Es war schon wichtig, dass er damals nicht »du musst« gesagt hat, als wäre ich beim Militär. Er hat mir Lösungswege gezeigt, und ich musste dann meinen eigenen Weg finden. Ich glaube, das hat mich empowert und selbstbewusst gemacht. Das Gefühl: Im Endeffekt kannst du das Problem alleine lösen. Das war für mich sehr, sehr wichtig. Das hat Holger toll gemacht. Was ganz witzig war: Als wir uns vor ein paar Tagen in Deutschland gesehen haben, sind wir zusammen mit dem Auto von Berlin nach Würzburg gefahren. Da habe ich ihn so gefragt: »Hey, jetzt mal zurückgeschaut: Was hättest du anders gemacht in den letzten 20 Jahren?« Wir haben gemeinsam reflektiert, und es war echt interessant, dass wir beide gesagt haben: »Ich würde es nicht großartig anders machen.« Klar, hier und da ein paar Übungen weglassen, die wir mal probiert haben. Aber ansonsten würde ich echt sagen, dass es gut gelaufen ist. Dass ich versucht habe, meinen eigenen Weg zu finden – mit dem Rückhalt von Freunden, der Familie und eben von Holger. War schon echt nett, das mal mit ein bisschen Abstand zu betrachten. War echt schön zu sehen.
Und ihr habt alles Revue passieren lassen?
Ja, alles. Du kennst Holger: Von griechischer Geschichte kommt er auf die wirtschaftliche Situation, die politische Situation. Er kommt immer von einem aufs andere. Wenn du zwei Tage mit ihm im Auto sitzt, steigst du aus und schüttelst erst einmal den Kopf: Das war eine Menge Info. Aber es macht natürlich großen Spaß, mit ihm zu reden, weil er so viel weiß und so viel im Leben mitgemacht hat und so intelligent ist. Dass man einfach über jedes Thema reden kann. Und er weiß echt sehr, sehr viel über sehr viele Sachen.
Ich wollte noch kurz auf einen Jahrestag zu sprechen kommen, der jetzt nächsten Monat ansteht: zehn Jahre Meisterschaft. Du bist ja gerade in Dallas. Die Playoffs laufen. Und vor genau zehn Jahren hast du ebenfalls mitten in den Playoffs gesteckt. Wie ist denn gerade deine Verfasstheit, wenn du dir die Spiele anguckst? Wenn du dir die Mavericks jetzt anguckst und daran denkst, wie es 2011 war. Kommt’s da ein bisschen hoch?
Ja, es ist schon Wahnsinn, dass das echt schon zehn Jahre her ist. Echt Hammer, wie die Zeit verflogen ist. Aber natürlich reflektiert man an so einem wichtigen Datum und schaut zurück. Zehn Jahre! Dieses Jahr ist schon speziell. Wir sind damals gut in die Saison gestartet, dann haben wir ein paar Verletzungsprobleme gehabt. Vor den Playoffs lief es nicht so gut. Und dass wir dann so einen Playoff-Run hingelegt haben, das hat uns damals keiner zugetraut. Nicht mal wir selber. Das war schon ein magisches Jahr für uns, es gab ein paar wirklich magische Monate in den Playoffs. Ich denke natürlich immer wieder gern zurück. Klar.
Gehst du auch wieder in die Halle?
Mein erstes Spiel der Saison war gegen Brooklyn vor ein paar Wochen. Anfangs gab es ja überhaupt keine Fans, dann waren 2500 oder 3000 erlaubt. Mit Social Distancing und allem. Ich war mit dem Ex-Präsidenten George W. Bush beim Spiel, weil er ein Buch über Immigranten gemacht hat, die viel für die Kultur und die Community hier in Amerika gemacht haben. Es ist für mich natürlich eine große Ehre, dass ich in dem Buch des Herrn Bush drin bin. Wir haben beim Mavs-Spiel eine kleine Buch-Promo gemacht und uns das Spiel angesehen. Es war toll, dass Steve Nash gerade mit Brooklyn da war. Und dass die Mavs dann gewonnen haben – umso besser. Sie haben eine superjunge und gute Truppe. Ich hoffe natürlich, dass sie tolle Playoffs hinlegen. Im letzten Jahr haben sie haben sie ein paar top Spiele gezeigt, der Dončić-Gamewinner gegen die Clippers kommt mir in den Kopf. Das war natürlich unglaublich. Ich hoffe aber, dass sie dieses Jahr noch mehr bringen können. Das wäre toll für Dallas-Basketball und für die Mavs.