»Wir haben immer an das Team geglaubt«

U-17-Weltmeistertrainer Christian Wück und die Sportpsychologin des Teams, Chiara Behrens de Luna, im Gespräch mit Silke Mayer über Teamgeist, Playercards und mentale Stärke

»In dieser Folge des 41Campus-Podcast spreche ich mit DFB-Trainer Christian Wück und der Sportpsychologin Chiara Behrens de Luna. Mit der U17-Nationalmannschaft schaffte Christian Historisches und holte exakt sechs Monate nach dem EM-Titel im Juni 2023 auch den Sieg bei der Weltmeisterschaft in Indonesien. Chiara betreute das erfolgreiche deutsche Team als Sportpsychologin. Die beiden geben Einblicke, wie sie es geschafft haben, durch mentale Stärke und Teamgeist die beste Mannschaft der Welt zu werden. Ich wünsche euch viel Spaß beim Zuhören.« 

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»Unser kompletter Weg war ein Prozess.«

Silke: Wie habt ihr es konkret geschafft, dass das Ego für das Team zurückgestellt wurde? Was würdest du sagen waren die ausschlaggebenden Faktoren, Christian?

Christian: Ich hatte drei neue Trainer im Trainerteam. Ich hatte den Athletikcoach, der neu war, ich hatte den Torwarttrainer, der neu war, und ich hatte einen Assistenztrainer, der neu war. Und wir haben es von Anfang an so eingeführt, dass wir nach jedem Lehrgang uns die Zeit genommen haben, uns zusammenzusetzen. Dann durfte jeder gleichberechtigt – Chiara war dabei und das gesamte Trainerteam – sagen, was gut war, wie er diesen Lehrgang empfunden hat, wie er meine Ansprache an die Spieler empfunden hat. Ich habe gesagt, wie die Arbeit auf dem Trainingsplatz von dem einen Kollegen war, und da hat’s manchmal schon gekracht. Da ging’s manchmal natürlich ins Persönliche hinein, denn wenn man kritisiert wirst, dann macht jeder Mensch ja erstmal zu. Und das mussten wir lernen, dass wir auf fachlicher Ebene diskutieren wollen. Und die erste Reaktion eines Menschen ist, dass es erstmal ins Persönliche geht. Das war ein Prozess. Unser kompletter Weg war ein Prozess. Und wenn wir nicht daran gearbeitet hätten, dann wären wir nicht so erfolgreich geworden. 

Silke: Gab es noch etwas, das euch beim Teambuilding geholfen hat?

Christian: Wir haben von Anfang an gemerkt, dass die Spieler unheimlich interessant waren. Dass wir viele unterschiedliche Charaktere hatten, und diese unterschiedlichen Charaktere wollten wir unter keinen Umständen verändern. Sondern wir wollten die Stärken von jedem Einzelnen in dieses Team einbringen. Unser dritter Meilenstein war aus meiner Sicht der Wichtigste. Wir hatten das Problem, dass viele sich natürlich über sich Gedanken machen. In dem Alter denkst du natürlich viel an dich: Wie bist du auf dem Platz? Wie kommst du in die erste Elf? Wie kommst du zum nächsten Lehrgang? Wie kannst du dich wieder qualifizieren? Und wir mussten es hinbekommen, dieses Team so zu formen, dass die Spieler untereinander wussten, warum jetzt Spieler X neben mir spielt und nicht der Spieler, den ich eigentlich für viel stärker einschätze. Das war in der Türkei bei der Qualirunde unser dritter Meilenstein, weil wir da einen Punkt gefunden hatten, wo wir den Spielern vor versammelter Mannschaft gesagt haben: Das sind deine Stärken, das schätzen wir an dir, sowohl auf als auch neben dem Platz. Und so haben die Spieler mal diesen Blickwinkel bekommen, warum Spieler jetzt eigentlich in dieser Mannschaft sind. Und wir haben gemerkt, dass viele über ihre Kollegen gar nicht so gedacht hatten. Ich glaube, das war ganz, ganz wichtig, um dieses Teamgefüge reinzubekommen, um einfach ein Team zu formen. In einer Art und Weise, die ich mir wahrscheinlich früher auch einmal vorgestellt hätte. Ich hatte als Spieler oft das Problem, dass ich auf der Bank saß, aber gar nicht wusste warum. Warum zieht denn jetzt ein Trainer einen Spieler vor, der auf der gleichen Position spielt wie ich? Und nicht mich? Das ist ein Punkt, den ich in meine Trainerlaufbahn mitnehmen wollte. Dass ich einfach offener und transparenter sein wollte gegenüber den Spielern. Das hat mit Hilfe von Chiara sehr, sehr gut hingehauen. 

Chiara: Am Ende sprichst du ja vom Thema Rollenklarheit. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für den Erfolg eines Teams, denn durch diesen Schritt kannte jeder seine Rolle. Nicht im Sinne von »Du sitzt jetzt auf der Bank, und du stehst in der Startelf«, sondern seine ganz klare, konkrete Rolle in Bezug auf seine Aufgabe auf dem Feld. Wir haben den Spielern Hashtags gegeben, jeder hatte einen Haupt-Hashtag. Wir hatten einen »Dominator«, wir hatten einen »Knipser«, wir hatten »Flash«, der die Außenbahn bearbeitet. Wir hatten ganz unterschiedliche Hauptstärken definiert, so dass jeder wusste, okay, ich kann vieles gut, aber das ist wirklich meine eine Aufgabe. Ich bin der Zerstörer auf der Sechs. Oder ich bin der Flash auf der Außenbahn, wie auch immer. Und so haben wir ganz klare Rollen geschaffen, aber auch eine extreme Wertschätzung für alle.

»Wir wollen Spieler, die sich frei bewegen können. «

Silke: Christian, magst du was zum Einbeziehen unterschiedlicher Charaktere sagen?

Christian: Es geht natürlich wieder darum, dass wir kritisieren, dass wir aus den NLZs immer nur gleiche Spieler bekommen. Gleich ausgebildete Spieler, die Jungs dürfen sich nur noch in ihren klar abgesteckten Grenzen bewegen. Und wir sind irgendwann mal dahin gekommen, uns zu fragen: Wollen wir das wirklich? Die Arbeit mit den NLZs beim DFB ist ja mittlerweile so eng, dass wir das auseinanderbrechen wollen. Wir wollen Spieler, die zwar ihren Rahmen haben, aber die sich in diesem Rahmen – der ja ziemlich weit gesteckt ist – frei bewegen können. Das war der Grund, um ihnen zu sagen: Jungs, versucht, eure Grenzen auszuleben, geht vielleicht auch mal über eine Grenze drüber, tragt dann aber auch die Konsequenzen und lernt daraus. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Jungs in dem Alter einfach ihre Grenzen ausloten wollen, und das wollen sie nicht nur im privaten Leben, sondern auch auf dem Fußballplatz. Das hat uns in Deutschland ja schon immer ausgezeichnet, dass wir Spieler hatten, die auf dem Platz was Verrücktes gemacht haben, und wir hatten auch Spieler, auf die man sich zu hundert Prozent verlassen konnte. Da haben wir versucht, eine gute Mischung hinzubekommen, um als Team erfolgreich zu sein.

»Wir hatten eine ganz klare Identität.«

Silke: Chiara, was hat zur mentalen Stärke dieser Mannschaft beigetragen?

Chiara: Wir haben uns nicht hingesetzt und einen Workshop gemacht, »Wie finde ich zu meiner mentalen Stärke?« (lacht), sondern das ist extrem aus dem Prozess entstanden. Ein Faktor war natürlich, dass wir eine ganz klare Identität hatten. Jeder Spieler wusste: Wer sind wir? Und das macht unheimlich viel aus, gerade, wenn es mal bergab geht oder schwierig ist, wenn man sich daran erinnern kann, wer du bist. Wenn du zum Beispiel sagen kannst, Okay, Moment mal – wir haben eine Zweikampfquote von 54 Prozent, und deswegen gehen wir da raus und gewinnen jeden Zweikampf. Wir haben es heruntergebrochen auf die banalsten Dinge im Fußball. Wie Christian immer so schön sagt, auf die deutschen Tugenden. Jeder wusste: Wer sind wir? Wir konnten uns immer wieder darauf besinnen, auch in schwierigen Situationen. Das war ein wichtiger Punkt. Und dann, was ich sehr schön fand, war, was Fayssal bei der Siegesfeier gesagt hat: Wenn ein Mitspieler einen Fehler macht, dann ist er mit Liebe hinterhergelaufen, um den Fehler wieder auszubügeln. Das heißt, wir hatten so einen Zusammenhalt im Team, da war so eine Gemeinschaft, so ein Miteinander, und er hat wirklich von Liebe gesprochen für seine Mitspieler. Das finde ich ganz bezeichnend.

Das Gespräch in voller Länge

Wenn Du wissen willst, welche Entscheidungen Christian und Chiara auf ihrem Weg zum Erfolg geholfen haben, dann höre Dir das gesamte Gespräch hier oder hier als Podcast an.

Unser Anliegen im 41Campus ist es, die persönliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in Sportteams wertebewusst zu begleiten. Deshalb wollen wir vor allem Trainer und Trainerinnen in ihrer Vorbild- und Mentorenfunktion stärken. In unserem Podcast spreche ich mit erfolgreichen Menschen im Sport über werteorientiertes Leadership.

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Christian Wück arbeitet seit 2012 als U-Nationaltrainer beim DFB. Zuvor trainierte er Rot-Weiss Ahlen und Holstein Kiel in der zweiten und dritten Liga. Als Profi bestritt er 168-Bundesligaspiele für Nürnberg, Karlsruhe und Wolfsburg. Mit der U17-Nationalmannschaft wurde er 2023 erst Europameister und dann Weltmeister.  Nach den olympischen Spielen wird er das Amt des Bundestrainers der DFB-Frauen übernehmen.

Chiara Behrens de Luna begleitet als selbstständige Sportpsychologin u.a. die Profifußballer des Hamburger SV und die U15-Junioren-Nationalmannschaft des DFB. Sie gehörte über drei Jahre zum Funktionsteam des 2006er Jahrgangs der deutschen Nationalmannschaft, die 2023 U17- Welt- und Europameister wurde. Außerdem ist sie Host des Sportpsychologie-Podcasts UN.Limited 

___ von Silke Mayer.

Fotos © DFB